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  • Dieser Bericht über die Arbeitsmigrationspolitik in Deutschland ist der zweite in einer Reihe, die vom OECD-Sekretariat als Folgeaktivität des 2009 abgehaltenen Hochrangigen Politikforums zur internationalen Migration (High Level Forum on International Migration) herausgegeben wird. Hintergrund dieser Initiative waren der zuletzt in vielen Ländern beobachtete Anstieg der Arbeitsmigration und die Erwartung, dass die Arbeitsmigration angesichts des demografischen Alterungsprozesses eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Deckung des Arbeitskräftebedarfs spielen wird.

  • Die Arbeitsmigration gilt als eine von mehreren Maßnahmen zur Bewältigung des Arbeits- und Fachkräftemangels, der in Deutschland auf Grund des demografisch bedingten Rückgangs der Erwerbsbevölkerung erwartet wird. Nach den jüngsten Reformen des Zuwanderungsrechts ist die Bundesrepublik Deutschland mittlerweile eines der OECD-Länder mit den geringsten Beschränkungen für die beschäftigungsorientierte Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte.

  • Seit 2005 wurden in der deutschen Zuwanderungspolitik die Hürden für die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte Schritt für Schritt gesenkt, und gegenwärtig bestehen für die internationale Zuwanderung in hochqualifizierte Berufe kaum noch rechtliche Beschränkungen. Der gesetzliche Rahmen für die Arbeitsmigration in der Bundesrepublik Deutschland besteht zwar im Wesentlichen immer noch in einer Liste genau definierter Ausnahmen von einem generellen Anwerbestopp, mittlerweile wird aber den meisten Zuwanderern mit einem Arbeitsplatzangebot, für das eine Qualifikation auf Hochschulniveau erforderlich ist, eine Zulassung erteilt.

  • Die Arbeitsmigrationspolitik in Deutschland wurde in den vergangenen zehn Jahren schrittweise, aber mit zunehmendem Tempo reformiert. Die Hauptimpulse dieser maßgeblichen Reform der Arbeitsmigrationspolitik gingen von den demografischen Veränderungen und dem aufkommenden Fachkräftemangel aus. Diese Veränderungen haben bereits Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die sich in den kommenden zehn Jahren voraussichtlich noch verstärken werden.

  • Das Beschäftigungsniveau ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hoch, was der derzeit günstigen Arbeitsmarktlage und den jüngsten Erfolgen bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von älteren Arbeitskräften, Frauen und Zuwanderern zu verdanken ist, auch wenn die diesbezüglichen Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausfallen. Das System der dualen Berufsausbildung spielt in der Erwerbsbevölkerung eine fundamentale Rolle. Deutschland zählt ferner zu den Ländern mit der am raschesten alternden Bevölkerung im OECD-Raum, und die Bevölkerung im Erwerbsalter beginnt drastisch zu schrumpfen. Sichtbar wird der Arbeitskräftemangel anhand der steigenden Zahl offener Stellen, wovon auch Lehrstellen in einigen Schlüsselbereichen betroffen sind. Der Arbeitskräftemangel ist in den einzelnen Berufen unterschiedlich groß, wobei der Gesundheitssektor offenbar am stärksten betroffen ist; Engpässe werden in Berufen mit hohem und mittlerem Qualifikationsniveau gemeldet und in beiden Kategorien voraussichtlich zunehmen. In diesem Kontext wird die Arbeitsmigration als fester Bestandteil einer umfassenderen Strategie zur Bewältigung des Fachkräftemangels betrachtet.

  • Deutschland gehört trotz der seit 2009 zu verzeichnenden Zuwächse zu den OECD-Ländern, die im Verhältnis zur Bevölkerung die niedrigste dauerhafte Arbeitsmigration aufweisen. Die beschäftigungsorientierte Zuwanderung aus anderen Ländern der Europäischen Union ist vier- bis fünfmal höher als die Arbeitsmigration aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, die Gesamtzahl der dauerhaften beschäftigungsorientierten Zuzüge ist im Vergleich zu anderen Ländern aber immer noch niedrig. Obwohl die meisten Arbeitsmigranten ein hohes Qualifikationsniveau aufweisen, ist nur ein kleiner Teil der in letzter Zeit zugezogenen Arbeitsmigranten in Deutschland geblieben. Deutschland hat seinen Arbeitsmarkt im Mai 2011 vollständig für die EU-Beitrittsländer des Jahres 2004 geöffnet und dadurch die Migration im Rahmen der Personenfreizügigkeit, die seit 2010 stetig angestiegen ist, weiter erleichtert. Deutschland deckt einen Teil seines Arbeitskräftebedarfs – insbesondere in Bezug auf Saisonarbeit – durch das größte Programm für zeitlich befristete Arbeitsmigration des OECD-Raums, das allerdings auf europäische Arbeitskräfte begrenzt ist.

  • Die deutsche Politik der Arbeitsmigration wurde lange Zeit mit der Gastarbeiteranwerbung der 1950er und 1960er Jahre assoziiert. Diese Phase endete 1973 mit einem allgemeinen Anwerbestopp, in dessen Folge immer mehr Ausnahmeregelungen geschaffen wurden, für qualifizierte und hochqualifizierte Kräfte, aber auch für Saisonarbeitskräfte und bestimmte Beschäftigte in befristeten Arbeitsverhältnissen. In den 2000er Jahren wurden die Möglichkeiten für die Zuwanderung von Fachkräften ausgeweitet, zunächst mit einem Programm für IT-Kräfte Anfang der 2000er Jahre und dann mit einer wachsenden Liste zulässiger Berufe nach der Verabschiedung eines neuen Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005. Der angebotene Arbeitsvertrag muss bestimmte Kriterien erfüllen, und während es für die Zuwanderung von hochqualifizierten Kräften kaum Hindernisse gibt, bestehen wenig Möglichkeiten, um Arbeitsplätze mit mittleren Qualifikationsanforderungen mit Arbeitskräften aus dem Ausland zu besetzen. 2012 erfolgte Gesetzesänderungen vereinfachten die Verfahren und verbesserten die Bedingungen für zahlreiche Kategorien qualifizierter Arbeitskräfte. Dabei wurde die Blaue Karte EU eingeführt, mit der die Vorrangprüfung für viele Bewerber entfällt.

  • In diesem Kapitel wird untersucht, wie sich die Politikentscheidungen auf den Zugang zu den Möglichkeiten der Arbeitsmigration und deren Nutzung auswirken, und ob die gegenwärtige Politik dem aktuellen und künftigen Arbeitsmarktbedarf gerecht wird. In Deutschland kommt bei der Kandidatenevaluierung im Rahmen des Arbeitsmarktzulassungsverfahrens ein breites Spektrum an Kriterien zum Einsatz, von denen sich viele überschneiden, die es prinzipiell aber ermöglichen, dass die Arbeitsplätze, welche die höchsten Qualifikationen erfordern, mit Bewerbern besetzt werden, die anerkannte Hochschulabschlüsse besitzen.

  • Ungeachtet der tatsächlichen Funktionsweise des deutschen Arbeitsmigrationssystems halten sowohl Arbeitgeber als auch potenzielle Zuwanderer das System für komplex und restriktiv. Während Deutschland in Osteuropa einen guten Ruf als potenzielles Zielland genießt, ist dies in neueren Herkunftsländern von Fachkräften außerhalb Europas weniger der Fall. Die begrenzte Verbreitung von Deutsch als Fremdsprache im Ausland ist ein Hindernis für die Arbeitsmigration.