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  • In diesem Buch legen wir als Vorsitzende der der OECD angegliederten Hochrangigen Sachverständigengruppe zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt (High-Level Expert Group – HLEG) unseren persönlichen Standpunkt zu den wichtigsten Themen dar, mit denen sich die Gruppe im Lauf der letzten fünf Jahre (2013-2018) befasst hat. Sie trat in diesem Zeitraum regelmäßig zusammen, um viele der in diesem Buch behandelten Fragen zu diskutieren.Die HLEG, deren Mitglieder nachstehend in Kasten 1 aufgeführt sind, wurde ins Leben gerufen, um die Arbeit der Kommission zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt fortzusetzen, die der frühere französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy 2008 einberufen hatte (die sogenannte Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission). In einem Begleitband – For Good Measure: Advancing Research on Well-being Metrics Beyond GDP – rücken in mehreren, von einzelnen Mitgliedern der Gruppe verfassten Kapiteln jeweils Themen in den Fokus, die Arbeitsschwerpunkte der HLEG waren und auch Gegenstand der vorliegenden Publikation sind.

  • Die Veröffentlichung des Berichts der Kommission zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt im September 2009 war ein entscheidender Moment. Der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy formulierte es anlässlich seiner Präsentation des Berichts folgendermaßen: „Dieser Bericht ist im gegenwärtigen Kontext nicht nur fachlich, (sondern) auch politisch von großer Bedeutung. Er beschäftigt sich mit Fragen, die nicht nur für Wirtschaftswissenschaftler, Statistiker und Wirtschaftsprüfer relevant sind, sondern auch für die Politik und somit für die ganze Welt.“ Die Kernaussage des Berichts war simpel: In der Statistik muss statt der Messung des Umfangs der wirtschaftlichen Produktion, d. h. des BIP, die Messung der Lebensqualität heutiger und künftiger Generationen in den Fokus rücken. Dies ist ein Perspektivenwechsel mit weitreichenden Konsequenzen, denn, um mit den Worten des Nobelpreisträgers und Kommissionsvorsitzenden Joseph E. Stiglitz zu sprechen: „Die Wahl der Messgröße hat Auswirkungen auf unser Handeln.“

  • Die Hochrangige Sachverständigengruppe zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt (High-level Expert Group – HLEG) stützt sich auf die Analysen und Empfehlungen der Kommission zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt aus dem Jahr 2009 (Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission – SSF). Sie beleuchtet die Bedeutung von Indikatoren für Lebensqualität für die Politik und regt einen aktiveren Dialog zwischen ökonomischer Theorie und statistischer Praxis an. Der Bericht zeigt die der statistischen Praxis zugrunde liegenden Annahmen sowie ihre Folgen in der realen Welt auf. Seine Kernaussage lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Wahl der Messgröße hat Auswirkungen auf unser Handeln. Wenn wir uns an den falschen Messgrößen orientieren, ergreifen wir die falschen Maßnahmen. Fehlen entsprechende Messgrößen, werden Probleme vernachlässigt, so als würden sie nicht existieren.

  • Dieses Kapitel untersucht, was sich seit der Veröffentlichung des Berichts der Kommission zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt (Stiglitz-Sen-Fitoussi Kommission) im Jahr 2009 verändert hat. Es beschreibt den Beitrag der Hochrangigen Sachverständigengruppe zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt (High-Level Expert Group – HLEG) zu Initiativen, die darauf abzielen, bei der Beurteilung der Gesundheit eines Landes über das BIP hinauszugehen und ein Dashboard mit Indikatoren heranzuziehen, die Aspekte wie Wohlstandsverteilung und Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen abbilden. Die Herausforderung besteht darin, dieses Dashboard so zu konzipieren, dass es klein genug ist, um leicht verständlich zu sein, aber auch groß genug, um die für uns wichtigsten Aspekte zu umfassen. In diesem Kapitel wird argumentiert, dass das staatliche Handeln stark von den jeweils gewählten Messgrößen abhängt. Werden beispielsweise die Einkommensungleichheit oder die wirtschaftliche Unsicherheit nicht regelmäßig mithilfe eines solchen Indikatoren-Dashboards erfasst, bemerken die staatlichen Stellen möglicherweise gar nicht, wenn sich die entsprechenden Werte verschlechtern. Darüber hinaus wird in diesem Kapitel auch gezeigt, dass verzerrte Messgrößen zu Fehleinschätzungen führen können, so z. B., wenn das BIP als alleiniger Erfolgsmaßstab dient, während die durch die wirtschaftlichen Tätigkeiten möglicherweise verursachten Umweltschäden nicht gemessen werden.

  • In diesem Kapitel wird zusammengefasst, wie ungeeignete Messgrößen (und Modelle) die Beurteilung der Finanzkrise von 2008 und die Reaktion auf diese möglicherweise beeinträchtigt haben, und welche Lehren daraus gezogen werden können. Es wird argumentiert, dass das BIP möglicherweise ein zu optimistisches Bild des Zustands der Wirtschaft vor der Krise und in der Erholungsphase gezeichnet und auch die Nachhaltigkeit des Wachstums überbewertet hat. Das Problem war, dass zu viele Analysten nicht über das BIP hinausblickten. Mit besseren Messgrößen und insbesondere auch geeigneten Indikatoren, die das zunehmende Gefühl der wirtschaftlichen Unsicherheit in der Bevölkerung angemessener erfasst hätten, wäre uns vielleicht bewusst geworden, dass die Folgen des Abschwungs sehr viel tiefgreifender waren, als es die BIP-Statistiken vermuten ließen. Entsprechend hätten die Regierungen vielleicht deutlicher reagiert, um die negativen Folgen der Krise abzufedern. In diesem Kapitel liegt das Augenmerk auf zwei Unzulänglichkeiten der Standardmessgrößen: Zum einen wird nur die Passivseite des Sektors Staat beleuchtet, während die Aktivseite der Bilanz des Staatssektors (und des Landes) ignoriert wird. Zum anderen bleiben Indikatoren der ungenutzten Ressourcen am Arbeitsmarkt (die über die Standardmessgrößen der Arbeitslosigkeit hinausgehen) unberücksichtigt. Außerdem wird die Notwendigkeit hervorgehoben, das bestehende Datenmaterial durch Kennzahlen für die wirtschaftliche Unsicherheit und das subjektive Wohlbefinden zu ergänzen und Veränderungen im Human- und Sozialkapital in die Modelle einzubeziehen.

  • In diesem Kapitel werden die seit dem Bericht der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission von 2009 zur Wohlstandsmessung jenseits des BIP durchgeführten Arbeiten betrachtet. Es wird geltend gemacht, dass die von der Staatengemeinschaft im Rahmen der Ziele für nachhaltige Entwicklung vereinbarten 169 Unterziele zu zahlreich sind und die Staaten eine Auswahl treffen müssen, die ihren Prioritäten entspricht. Zudem wird gezeigt, dass die wachsende Ungleichheit bei den Einkommen und Vermögen ein weltweites Problem ist und dass selbst in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften häufig nur unzureichende Daten vorliegen. Ferner wird davor gewarnt, sich allzu sehr auf breit gefasste Durchschnittswerte zu stützen, da große Ungleichheiten zwischen gegebenen Gruppen („horizontale Ungleichheiten“) nicht daraus hervorgehen und sie nichts darüber aussagen, wie die Ressourcen in den privaten Haushalten aufgeteilt sind und verwaltet werden. In dem Kapitel wird die Auffassung vertreten, dass es nicht nur auf die Ungleichheiten bei den Ergebnissen ankommt, sondern auch auf die Ungleichheiten bei den Möglichkeiten der Menschen, diese Ergebnisse zu erreichen – und dass diese Ungleichheiten messbar sind. Andere Gebiete, auf denen weitere Arbeiten erforderlich sind, sind z. B. das subjektive Wohlbefinden und die wirtschaftliche Unsicherheit, die mit Sozialkapital und Vertrauen in Wechselwirkung stehen, sowie die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte der Nachhaltigkeit.

  • Dieses Kapitel beleuchtet, was sich verändert, wenn bei der Politikgestaltung die Lebensqualität in den Fokus rückt. Es wird beschrieben, wie Indikatoren für Lebensqualität in den verschiedenen Phasen des Politikzyklus genutzt werden könnten, sei es, um Handlungsprioritäten aufzuzeigen, das Für und Wider verschiedener Strategien zur Verwirklichung der Politikziele abzuwägen, die zur Umsetzung der jeweiligen Strategien erforderlichen (Haushalts-, Personal- und Politik-)Ressourcen bereitzustellen, die Umsetzung von Maßnahmen in Echtzeit zu überwachen, die Ergebnisse zu prüfen oder Entscheidungen über künftige Politikänderungen zu treffen. Das Kapitel zeigt, dass ein umfassender Rahmen mit den wichtigsten Dimensionen der Lebensqualität, der nicht nur den Durchschnittsergebnissen, sondern auch den Auswirkungen von Politikmaßnahmen auf die einzelnen Teile der Gesellschaft Rechnung trägt, und der die Lebensqualität in der Gegenwart, der Zukunft und in anderen Teilen der Welt gleichermaßen berücksichtigt, bessere Ergebnisse verspricht und die Kluft zwischen Politikverantwortlichen und Bevölkerung überwinden kann.

  • In diesem Kapitel wird dargelegt, dass zwei Faktoren maßgeblich zum Erfolg des 2009 veröffentlichten Berichts der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission beigetragen haben: Zum einen ist es den Autoren gelungen, allgemeinen Bedenken in Bezug auf die Mängel der Messgrößen Ausdruck zu verleihen, die gegenwärtig als Richtschnur der Politik dienen. Zum anderen stellt der Bericht ein begriffliches Instrumentarium bereit, das Bezüge zwischen Forschungsbereichen herstellt, die bis dahin als unzusammenhängend wahrgenommen wurden. Was die Umsetzung der Empfehlungen des Stiglitz-Sen-Fitoussi-Berichts in der statistischen Praxis betrifft, bleibt noch viel zu tun. Dieses kurze Kapitel bietet dazu zwölf neue Empfehlungen, die auf den Arbeiten der HLEG der letzten fünf Jahre aufbauen.

  • Seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2009 ist der Bericht der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission in der statistischen Fachwelt auf große Resonanz gestoßen und hat weltweit zahlreiche Initiativen zur Verbesserung der Wohlstandsmessung angeregt. Er fungierte auch als Katalysator für Forschungszwecke und Diskussionen über die „Beyond GDP“-Agenda in der Öffentlichkeit. Einige der wichtigen Vorhaben sind weiter unten dargelegt. Dabei wird zwischen Initiativen unterschieden, die von einzelnen Ländern auf nationaler Ebene ergriffen werden, und Initiativen, die von internationalen Stellen in einer globaleren Perspektive unternommen werden.